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IM VORAUS
Eine Einordnung

Der Begriff "Medienkompetenz" ist in der Pädagogik anzusiedeln. Er wurde von dem Medienpädagogen Dieter Baacke geprägt, der sich wiederum auf "Kommunikative Kompetenz" nach dem Soziologen Jürgen Habermas bezieht und mit den 1960er Jahren in einer Zeit entstand, als sich in Deutschland mit dem Massenmedium Fernsehen eine bisher unbekannte Bilderflut immer tiefer in den Alltag der Menschen drängte.

Der Reihe nach: Ursprünglich aus der Humanbiologie kommend (und eher mit schwammiger inhaltlicher Verbindung zum heutigen Medienkompetenz-Begriff) erfährt die "Kompetenz" in der Linguistik durch Noam Chomsky erstmals eine für heutige Medienkompetenz verwertbare inhaltliche Aufladung, die aber nach wie vor biologistisch geprägt ist. Sie bezeichnet die Fähigkeit des kommunizierenden Gesprächsteilnehmers seine Funktion – also fließend und nach allen Regeln der Sprache am Gespräch teilzunehmen – sowohl als Hörer, als auch als Sprecher auszufüllen. Jürgen Habermas leitet daraus wiederum in den 1970er Jahren die "Kommunikative Kompetenz" ab, die nicht nur die Sprache einbezieht, sondern im Hinblick auf Sozialisationsprozesse auch Gesten, Gebärden und Handlungen.[5]

[5]
Siehe hierzu: ebd., S. 55 ff.

Klar und deutlich kann also die "Kompetenz" in Medienkompetenz als Konzept einer umfangreichen Kommunikationsfertigkeit definiert werden. Da der Begriff der Medienkompetenz aber heute hauptsächlich in der Medienpädagogik verwendet wird, wird er im Folgenden auch hier eingeordnet.

Die Medienpädagogik tritt scheinbar urplötzlich zu Beginn des 20. Jahrhunderts auf den Plan, ausgelöst durch eine Debatte über das Kino und katalysiert durch den Fall des Thomas Rücker. Ihm wurde als Täter in einem Mordfall als Motiv attestiert wird seinem übermäßigem Kinokonsum psychisch nicht gewachsen gewesen zu sein. Die Debatte führte fast selbstverständlich zu einer Vorverurteilung des damals noch sehr jungen filmischen Mediums und dem Einzelnen wurde pauschal die Fähigkeit abgesprochen Filmvorführungen adäquat verarbeiten zu können,[6] was ultimativ als Grundstein einer sehr bewahrpädagogischen, also den Rezipienten beschützen wollenden Medienpädagogik benannt werden kann.[7]

[6]
Stefanie Harris: „Mediating modernity. German literature and the 'new' media. 1895-1930“, University Park (Pennsylvania) 2009, S. 172
[7]
Anna Eberhöfer: „Medienkompetenz vs. Media Literacy“ , Wien 2008, S. 3

Dieser Entwicklung entspricht wiederum, was heute mit Medienkompetenz gemeint wird, wenn Dieter Kempf und andere die Jugend vor den Gefahren im Internet bewahren möchten. Dass aber mit der Definition durch Dieter Baacke eher eine Abkehr von bewahrpädagogischen Tendenzen in der Medienpädagogik Einzug hielt, hin zu einer Medienpädagogik, die den Mediennutzer nicht mehr nur als Opfer, sondern zumindest teilweise als Akteur sieht,[8] treibt die Kempf‘sche Absurdität auf die Spitze: Ist es denn kohärent einen Begriff zu verwenden, der historisch durch und durch von einer Abkehr von bewahrenden Tendenzen geprägt ist und ihn genau mit diesen wieder neu aufzuladen?

[8]
Prof. Dr. Ralf Vollbrecht: „Einführung in die Medienpädagogik“, Basel 2001, S. 60 f.

Ich halte deshalb fest: der von mir in dieser Arbeit verwendete Medienkompetenzbegriff bezieht sich ausdrücklich nicht auf eine bewahrpädagogische Haltung, sondern baut auf Baacke und Habermas auf, um in Richtung Universalkompetenz im Umgang mit (digitalen) Medien zu gehen, was besonders im Kapitel "Medienkompetenz in digitalen Medien" näher beleuchtet wird.

IM VORAUS
Media Literacy oder Medienkompetenz?

Neben Medienkompetenz wird analog sehr gerne der Begriff Media Literacy als englischsprachiges Pendant verwendet. „Denn wir alle sind längst Bewohner von McLuhans 'globale village', so heißt es, wir alle sitzen vor MTV und CNN, surfen durchs Internet und aalen uns in Cyberspaces und verstehen die Welt nur noch so.“ [9] amüsiert sich Hans-Dieter Kübler über diesen Trend. Und er hat recht – gerade im Fall von Medienkompetenz und Media Literacy spielt die sprachliche Unterscheidung eine bedeutende Rolle.

[9]
Zitat Prof. Dr. Hans Dieter Kübler: "Kompetenz der Kompetenz der Kompetenz ..." in: Medien Praktisch 2/96, S. 11 f.

Allein schon wer Media Literacy direkt übersetzt, dem fällt auf, dass es weniger von einer Universalkompetenz, nicht einmal von einer kommunikativen (also empfangenden UND sendenden) Kompetenz, sondern von einer Decodierkompetenz handelt. Aber dabei bleibt es nicht: Wer den Begriff näher beleuchtet, der stellt fest, dass Media Literacy noch direkter als Medienkompetenz im Zusammenhang mit zeitbasierten Bildmedien entstand, auch heute noch vielfach unter bewahrenden Aspekten verwendet wird,[10] und so quasi in Kauf nimmt, dass die Möglichkeiten der neuen Medienlandschaft ignoriert werden.

[10]
Siehe Anna Eberhöfer: „Medienkompetenz vs. Media Literacy“, Wien 2008, S. 72 ff.

Weil diese Arbeit aber ausdrücklich von Medienkompetenz in digitalen Medien handelt, Media Literacy aber schon rein wörtlich der falsche Begriff für gesellschaftlich sinnvollen Umgang mit diesen ist und einmal mehr in die bewahrpädagogische Richtung ausschlägt, werde ich mit dem Begriff Medienkompetenz in klarer Abgrenzung zu Media Literacy arbeiten.

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