Wenn man diesen Herangehensweisen aber die Probleme gegenüberstellt, die viele User scheinbar auch heute noch im Umgang mit digitalen Medien haben, dann wird umso deutlicher, weshalb eine Förderung der Medienkompetenz hier dringend nötig ist. Nicht von Ungefähr kommen Passagen in Medienpädagogischer Fachliteratur wie: „Bei Computerproblemen oder Situationen, in denen ein gewohnter Arbeitsablauf verändert werden sollte, fielen eine große Unselbständigkeit und ein Hang zur Passivität auf. Das Selbstbild des 'dummen Users', der überzeugt ist, diesen Zustand nicht ändern zu können, wurde besonders deutlich“ [33] oder „Zu oft ist der Computer noch die unantastbare Black Box, der wir zwar gelegentlich Pest und Cholera an den virtuellen Hals wünschen, deren Benutzungsprotokoll wir aber nur unwesentlich beeinflussen zu können glauben. Der Computer scheint uns seine Nutzung zu diktieren“.[34]
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Die Zitate von Schulte/Knobelsdorf und Fritzsche beschreiben ein Unbehagen gegenüber digitalen Medien, das weit über die Altersklassen von Digital Natives hinausgeht. So dürfte eigentlich offensichtlich sein, dass Medienkompetenz nicht nur mit schulischen Konzepten zu fördern ist, sondern umfangreicher gedacht werden muss. Das soll natürlich nicht bedeuten, der Digital Native sei dem Digital Immigrant prinzipiell überlegen – im Gegenteil: so beschreibt Marc Fritzsche beispielsweise seine Erfahrung aus dem Schulalltag, dass Schüler durch häufige Nutzung zwar schnell und ungehemmt vorgehen, aber „im produktiven Bereich erhebliche Defizite aufweisen“.[35] Auch Randy Pausch und Caitlyn Kelleher sehen das Gefälle nicht von Jung nach Alt, sondern von Jungen zu Mädchen,[36] wobei aber wohl auch das zu spezifisch ist und die wahrscheinlich einzig mögliche generelle Folgerung aus diesen Beobachtungen die ist, dass Probleme im Umgang mit digitalen Medien weniger bei einer Gruppe zu finden sind, sondern quer durch die Gesellschaft überall. Hier würden wohl auch Schulte und Knobelsdorf zustimmen, die eine Ursache dieser Probleme eher in individuellen Computernutzungsbiographien sehen, also in sehr persönlichen Eindrücken in den Biographien, die in einer Unterscheidung in nur nutzenden oder gestaltenden Umgang mit Computern mündet.[37]
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Davon ausgehend sehen die beiden Autoren den Schlüssel zum Erfolg in der Dualität von Struktur und Funktion: Nur wer als User die Dualität erkennt, wird ihrer Meinung nach fähig sein die Möglichkeiten des digitalen Mediums zu kennen und schätzen zu lernen. Sie lehnen deshalb die Unterrichtung reinen Struktur- oder Funktionswissens ab, weil einerseits Strukturwissen in der Regel als zu professionell und nicht anwendbar vom Seminarteilnehmer abgelehnt wird und andererseits reines Funktionswissen der Medienkompetenzförderung nicht dienlich ist – das Wissen wie man MS Word bedient bringt jedenfalls eine umfangreiche Digitalmedienkompetenz nicht voran. Stattdessen regen sie an die Dualität (und damit wiederum Strukturwissen) bewusst zu machen – und zwar versteckt, indem in Unterrichtsformen strukturelle Elemente in Funktionswissen verpackt werden. Als Beispiel nennen sie hier: Im Unterricht zur MS Word Nutzung kann explizit auch auf strukturelle Funktionen, wie automatisches Inhaltsverzeichnis, eigene Formatvorlagen oder Textmarken eingegangen werden und so das Strukturverständnis des Kursteilnehmers verstärkt werden.[38] Ein sehr interessanter Ansatz, der zwar aufgrund seiner Herkunft aus schulisch geprägter Medienpädagogik noch etwas zu sehr auf Unterrichtsformen konzentriert ist, der aber sicher noch weiterverwendet werden kann. Ich sehe hier beispielsweise auch die Möglichkeit diese unterschwellige Vermittlung von Strukturwissen nicht nur in der Unterrichtung von Nutzungstechniken zu vermitteln, sondern, wie sich vielfach als sinnvoll herausgestellt hat, über Nutzungen, die tatsächlich Spaß machen.
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So versuchen beispielsweise Kelleher und Pausch sehr erfolgreich Mädchen zum Programmieren zu motivieren, indem sie ihre ohnehin einfache Drag&Drop-Programmiersoftware "Alice" zu "Storytelling Alice" erweitern und das programmieren als das nächste logische Level des Erzählens von Geschichten positionieren. Daraus folgt, dass im Experiment eben genau die Schülerinnen, die Spaß am Geschichten erzählen haben, am Ende wesentlich mehr Engagement am Programmieren zeigten, als diejenigen, die mit dem normalen Alice arbeiteten, und sich durch diese Beschäftigung wesentliche Programmierkonzepte wie Loops, Conditionals, Methoden, Parameter, Variablen, Arrays und Rekursion aneigneten.[39] Der Ansatz von Schulte und Knobelsdorf, Strukturwissen versteckt zu vermitteln, hat hier also funktioniert – mit der Besonderheit, dass das Ganze mit einer Tätigkeit verknüpft ist, die dem User Spaß macht und so besondere Aufmerksamkeit erfährt.
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Auch Marc Fritzsche schlägt eine interessante Methode vor, wenn er fordert im Kunstunterricht an Schulen analog zur URL-Schreibweise eine „Nutzung [digitaler Medien] im Sinne von kunst://computer anzustreben“.[40] Das hört sich zwar etwas seltsam an, meint allerdings schlicht, dass es dem Kunstunterricht nicht zuträglich ist, wenn Schüler lernen wie man ein Programm wie beispielsweise Adobe Photoshop benutzt, sondern dass Lehrkräfte im Kunstunterricht viel eher einen kreativen Umgang mit digitalen Medien fördern sollen, der nach alternativen, auch mal vom Hersteller nicht empfohlenen Nutzungsarten sucht [41] und damit der Vorgehensweise eines Hackers wieder sehr nahe kommt. Und nicht zuletzt passt zu alldem der Ansatz des Designers Tobias Leingruber für seine Browser Extension Plattform Artzilla: Er vergleicht urbanes Skateboarding mit dem Programmieren von Browser Code, weil in beiden Fällen die verfügbaren „Architekturen“ kreativ genutzt werden, um seinen Spaß damit zu haben.[42]
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Zusammengefasst kann man also festhalten, dass eine universelle Digitalmedienkompetenz am ehesten dadurch gefördert werden kann, dass die Dualität der Nutzung, wie von Schulte und Knobelsdorf gefordert, bewusst gemacht wird, idealerweise ohne Strukturwissen direkt zu vermitteln, sondern implizit über Vermittlungsformen, die vom User die notwendige Aufmerksamkeit erhalten. In welchem Rahmen das geschehen soll, bleibt dabei zwar offen, ich denke aber, dass besonders die Komponenten Spiel & Spaß nicht zu vernachlässigen sind, da sie durch erhöhte Aufmerksamkeitsbereitschaft eine Aufnahme von Strukturwissen enorm erleichtern können.
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